Franz Ferdinand by Friedrich Weissensteiner
Autor:Friedrich Weissensteiner [Weissensteiner, Friedrich]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
PERSÖNLICHE DOPPELMONARCHIE:
Der Kaiser und sein Thronfolger
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Anzeichen für den Zerfall der Donaumonarchie unverkennbar. Der Schlachtenlärm des Nationalitätenstreites tönte lauter denn je. Die Magyaren nutzten jede Gelegenheit, ihre ohnedies privilegierte Position weiter auszubauen, die Tschechen verlangten politische, nationale und kulturelle Selbstständigkeit innerhalb des Staatsganzen. Bei den übrigen Völkern, den Kroaten, Rumänen, Italienern, den Slowenen, Polen und Ruthenen gab es deutliche Anzeichen von Unzufriedenheit.
Der alte Kaiser, der sein übernationales Reich bereits länger als ein halbes Jahrhundert regierte, sah wohl die Flammenzeichen an der Wand. „Österreich befindet sich im Zustand latenter Revolution“, klagte er und stellte wissend fest: „Ich bin mir seit langem bewußt, wie sehr wir in der heutigen Welt eine Anomalie sind.“ Aber zu einer grundlegenden Reform des Staates hatte er weder die Lust noch die Kraft. Dazu war er schon zu müde und zu unentschlossen. Franz Joseph ließ die Dinge treiben. Es genügte ihm, eine zerbrechende Ordnung zusammenzuhalten. Seine Person war für viele Menschen das Symbol der Reichseinheit und der Reichsdauer. „Solange der gegenwärtige Kaiser lebt“, meinte der britische Botschafter Sir Augustus Paget, „ist es unwahrscheinlich, daß sich die Dinge, so wie sie sind, ändern, was des Kaisers ungeheurer Volkstümlichkeit und dem großen Einfluß wie der Autorität zuzuschreiben ist, die er überall im Volke genießt.“
Andere Zeitgenossen kommentierten die Herrschaft Franz Josephs weniger freundlich. „Zweifach hat uns Franz Joseph unendlich geschadet“, urteilte der ehemalige österreichische Ministerpräsident Ernest von Koerber rückblickend, „einmal durch seine Jugend und das zweite Mal durch sein Alter.“ Koerbers Bonmot traf den Nagel auf den Kopf. Hatte die politische Unerfahrenheit des Kaisers zu Beginn seiner Regierung die Monarchie einige Male in Schwierigkeiten und Krisen gestürzt, so war seine statische Unbeweglichkeit am Ende seiner Herrschaft eine schwere Hypothek für das gesamte Reich. Millionen Untertanen, ein Großteil der Hofgesellschaft und die meisten Menschen, die in Österreich- Ungarn etwas zu reden hatten, fügten sich in diese Tatsache wie in ein unabänderliches Schicksal.
Der Mann, der das Korps der Unzufriedenen anführte, dem die Politik des ewigen „Fortwurstelns“ aus tiefster Seele zuwider war, der sie zunächst zaghaft und später mit allen Mitteln bekämpfte, war der Thronfolger Franz Ferdinand. Er war, wie es sein Flügeladjutant Brosch einmal treffend formulierte, „Seiner Majestät getreueste Opposition“.
Mit seinem scharfen, durchdringenden Blick und seinem hellwachen Verstand erkannte der Thronfolger schon sehr früh die zentrifugalen Kräfte, die den Bestand des Reiches gefährdeten. „Ich bin vollkommen überzeugt“, sagte er zum Freiherrn von Margutti, „daß die übermäßige Entwicklung eines Einzelteiles innerhalb eines zusammengesetzten Staatsgebildes, wie es die Monarchie in ihrer heutigen Gestalt ist, nur auf Kosten der anderen Teile platzgreifen kann und genau dasselbe ist, wie ein pathologischer Zustand im menschlichen Körper. Wird er nicht rechtzeitig durch energische medizinische Mittel bekämpft, gegebenenfalls durch operative Eingriffe behoben, so führt er unfehlbar zum Siechtume und dann zum Tode. Ebenso geht ein Staatswesen vom Gefüge der Habsburgischen Monarchie unaufhaltsam zugrunde, in dem ein Element ständig hypertrophisch anschwillt, wie etwa bei uns Ungarn. Daran ist absolut nicht zu zweifeln.“ Und bereits 1896 konstatierte er in einem Brief an den Grafen Thun-Hohenstein,
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